Die Stellung der Religionsphilosophie zur Philosophie und Religion

 Verhältnis der Philosophie zur Religion überhaupt

  1. These: Religionsphilosophie ist diejenige Betrachtung (Erkenntnis) der
  Philosophie, die die Religion zum Gegenstand hat. So verstanden, steht die
  Erkenntnis noch in der Entzweiung mit der religiösen Seite, wie sie oben dargelegt
  wurde und ist nur endliche oder äussere (Verstandes-)Erkenntnis.
 
  2. These: Dies ist ein kategorialer Widerspruch, denn die Religion als Gegenstand
  der Philosophie ist das Unendliche. Damit aber steht Religion grundsätzlich nicht im
  Widerspruch zur Philosophie, denn auch der Gegenstand der Philosophie ist das
  Unendliche: „der Inhalt, das Bedürfnis und das Interesse der Philosophie ist mit dem
  der Religion ein gemeinschaftliches“ und „die Philosophie expliziert daher nur sich,
  indem sie die Religion expliziert, und indem sie sich expliziert, expliziert sie die
  Religion.“ Beide haben dieselbe Tätigkeit, nämlich die Beschäftigung des
  denkenden Geistes mit der ewigen Wahrheit. Beide, das religiöse und
  philosophische Bewusstsein als geistige Tätigkeiten, durchdringen das Unendliche
  als ihren Gegenstand und leisten Verzicht auf ihre Besonderheit, Eigenes,
  Willkürliches. Grundsätzlich gleich sind somit sowohl der Gegenstand des
  Unendlichen als auch die Form des Versenktseins in den Gegenstand. In
  beiden, dem religiösen und philosophischen Bewusstsein, sind Gegenstand und
  Form vereint, womit die in These 1 gesetzte Entzweiung an sich aufgehoben ist.
 
  In der neueren Zeit ist der Gegensatz zwischen Philosophie und Religion 
  mehr anerkannt als die behauptete Einheit. Jedoch hat schon bei den Kirchenvätern
  eine Verknüpfung statt gefunden. Die Anfänge und Weiterbildung des Inhalts der
  christlichen Lehre gehen auf die philosophische Bildung der Kirchenväter (Platon,
  Neuplatoniker) und die scholastische Philosophie (Aristoteles) zurück. 
 
  3. These: Philosophie und Religion sind nicht nur identisch, sondern auch
  verschieden. Der Gottesdienst der Philosophie ist nicht gleich dem Gottesdienst der
  Religion. Er unterscheidet sich in der Art und Weise der Ausübung, wobei
  Ausübung sowohl die Form als auch den Inhalt umfasst, da erst beide in ihrem
  Zusammengehen die Tätigkeit des Gottesdienstes ausmachen. Der Unterschied in
  der Ausübung liegt im Nähern darin, dass die Philosophie den Gegenstand (Gott)
  als eins mit den unterschiedenen Bestimmungen fasst und in ihrem Gegensatze
  selbst als solchem die Einheit sucht als auch aus der Einheit die Gegensätze
  hervorgehen lässt und als Momente setzt. Unendliches und Endliches werden nicht
  einfach getrennt und wieder künstlich zusammengesetzt, sondern das Unendliche
  geht aus der Aufhebung des Endlichen hervor, und das Endliche bewahrt sein
  Recht als Moment des Unendlichen. Damit ist sowohl der endlichen Erkenntnis als
  auch dem absoluten Inhalt der Religion genüge getan, und die Entzweiung (These
  1) wird fruchtbar gemacht für die geistige Beschäftigung mit der ewigen Wahrheit,
  die Explikation des Unendlichen (These 2).
 
Hegel hebt somit die Religion auf in der begrifflichen Spekulation, die ihrem Inhalt
angemessen ist. Denn sie ist in ihrer Ausübung an sich schon das Spekulative,
  wenn auch noch „als Zustand des Bewusstseins, dessen Seiten nicht einfache
  Denkbestimmungen, sondern konkret erfüllte sind“. Darin aber ist noch die ganze
Härte der Entzweiung zwischen den Extremen des Denkens (der tätigen Allgemeinheit,
dem Unendlichen) und der Wirklichkeit als unmittelbares, besonderes, empirisches
endliches Selbstbewusstsein vorhanden, die die Religion „im Element der Allgemeinheit
flüssig macht und zur Versöhnung bringt“. Damit „bleibt sie immer dem Gedanken
[Philosophie] auch der Form und der Bewegung nach verwandt“. Der Unterschied zu der
ihr verwandten Philosophie liegt jedoch darin, dass die Versöhnung nur unzureichend
gelingen kann, da die Religion auf der Ebene des Bewusstseins verbleibt und damit
autoritative und unmittelbar an sich geltende Inhalte (Wahrheiten) der Form des
Bewusstseins gegenüber stehen lässt. Erst die Philosophie selber „als das schlechthin tätige
und den Gegensatz vereinigende Denken“ kann die wahrhafte Vermittlung des Endlichen
und Unendlichen aufzeigen, indem es beiden im Ganzen seiner Bewegung ihr Recht aufweist.
Die Philosophie, d.h. „das schlechthin tätige  und den Gegensatz vereinigende Denken“,
als denkende Betrachtung der Religion, als Religionsphilosophie, erhebt somit die Momente
der Religion selbst (Allgemeines des Denkens oder Unendliches und einzelnes endliches
Selbstbewusstsein) zu Gedanken. Damit erhebt sich die Frage, wie die Religionsphilosophie
„als ein Glied im System der Philosophie sich zu dieser überhaupt verhalte“.  
 

Verhältnis der Religionsphilosophie zum System der Philosophie

- Das Absolute in der neueren Philosophie ist noch nicht gleichbedeutendmit dem,
  was wir Gott nennen.
- Um die Verschiedenheit zu erkennen, muss gefragt werden, was Bedeutung selbst
  bedeutet. Die Frage nach der Bedeutung der Bedeutung ist die Frage nach zwei
  Entgegengesetzten.
  (1) Frage nach dem Innern, dem Zweck, dem allgemeinen Gedanken in Etwas
  hinter der Vorstellung des Etwas. Der Begriff von Etwas ist die Bedeutung, das
  Absolute, das logische Wissen Gottes. Hierin ist das Absolute gleichbedeutendmit
  dem Ausdruck Gott
  (2) Die Frage geht aber auch auf das Entgegengesetzte, nämlich auf die
  Vorstellung, die ‚hinter’ der Gedankenbestimmung liegt. Es wird ein Beispiel des
  Inhalts, der in (1) nur im Gedanken war, gefordert.
- Mit der Frage (1) hat die Religionsphilosophie die logische Idee der Philosophie
  gemein. Die logische Idee ist Gott wie er an sich ist. Das Wesen hält sich im
  Gedanken. Es ist Gott ‚vor’ seiner Realisierung.
- Mit der Frage (2) wird Gott auch als Geist, in seiner Erscheinung und
  Gegenständlichkeit betrachtet. Hier ist das erscheinende Wesen angesprochen, das
  Wesen, das sich Gegenständlichkeit gibt: die Manifestation oder das Dasein Gottes
  in der Gegenständlichkeit des Bewusstseins und Selbstbewusstseins der Religion.
- Die Religionsphilosophie enthält somit beides: die Weise der Vorstellung Gottes in
ihrer Gegenständlichkeit als auch seinen reinen Begriff. In der Religionsphilosophie
wird das Absolute oder Gott in der Form des reinen oder logischen Gedankens als auch
in der Form seiner Manifestation betrachtet. Damit entspricht die Religionsphilosophie
der Phänomenologie des Geistes, in der sie ein Moment ist: der Geist als Gegenständlichkeit
des Selbstbewusstseins entwickelt sich gemäss dem ihm inhärenten Begriff oder Gedanke,
denn die Gegenständlichkeit des Bewusstseins selbst ist der Begriff noch in seiner Trennung
von Form und Inhalt. Die Aufhebung dieser Trennung ist die Philosophie als  Wissenschaft
des logischen Begriffs, der nur in der Manifestation des Geistes erkannt wird, in der er immer
schon enthalten ist, und der sich als Ganzes, als absolute Idee, selbst notwendig manifestieren,
tätig werden muss in Natur und Geist. Dieser ewige Kreislauf allein ist das Absolute oder Gott.
Das Absolute ist nur als Weg des Absoluten zu fassen und: „Der Geist, der nicht erscheint, ist nicht.“
Gott, der nicht erscheint, ist nicht. Das Ding an sich, das nicht erscheint, ist nicht oder ist ein
Unding des Verstandes.
 - Gott ist das Resultat der andern Teile der Philosophie und in der Religionsphilosophie zum Anfang
   gemacht, zu unserem Gegenstand „als  schlechthin konkrete Idee mit ihrer unendlichen Erscheinung,
 - und diese  Bestimmung betrifft den Inhalt der Religionsphilosophie“, den wir in der Form der denkenden
   Vernunft betrachten. Damit aber bleibt noch zu betrachten die Stellung der Religionsphilosophie zur
   Religion wie sie sich als positive Lehre zeigt. Liegt diese ausserhalb des Gedankens und ihrer Erscheinung,
   ausserhalb des Geistes?  
 
Verhältnis der Religionsphilosophie zur positiven Lehre der
Religion (Kirche)
 
- In der protestantischen Kirche ist die Bibel die wesentliche Grundlage der Lehre.
- In dieser Lehre hat sich nun das Räsonnement geltend gemacht, d.h. der Verstand
  hat seine Kategorien a priori in die Erklärung der Lehre hinein genommen. Wo
  zuerst nur der Geist den Inhalt auffasst, setzen sich „Bestimmungen, Grundsätze,
  Voraussetzungen“ des räsonnierenden Gedankens fest. Dadurch entsteht eine
Vernunfttheologie, die sich dem Lehrbegriff der Kirche entgegengestellt. Man
bleibt nicht beim ursprünglichen Sinn der Lehre stehen, sondern die Erklärungen
erzeugen neue Gedanken, die den Inhalt verändern: es ändert sich nicht nur die
Form des Bewusstseins, sondern auch sein Gegenstand, dessen Sinn und Massstab
(Methode in der Phänomenologie des Geistes).
- Die Erkenntnis in der Aufklärung fasst das Unendliche auf endliche Weise „als ein
  Bestimmtes, als ein abstraktes Unendliches“ und schliesst daraus richtig, dass alle
  besondern Eigenschaften diesem Unendlichen unangemessen sind. Damit
  zerstört sie jedoch die Bestimmtheit der Religion als geistiges Phänomen. Gott ist
  arm, hohl und leer gemacht.
- Die Religionsphilosophie darf jedoch nicht dieser Vernunfttheologie oder
  Verstandesmetaphysik gleichgesetzt werden. Sie befindet sich nicht im selben
  Gegensatz zum Inhalt der Religion, in dem die frühere Beziehung des wirklichen
  Subjekts zu Gott nun abgesondert für sich steht und ein besonderer Standpunkt der
  Moral als eigene Wissenschaft dem nur Endlichen gegenüber tritt.
- „Hingegen die denkende Vernunft, die sich nicht mehr abstrakt hält, sondern vom
  Glauben des Menschen an die Würde seines Geistes ausgeht und vom Mut der
  Wahrheit und Freiheit getrieben wird, fasst die Wahrheit als ein Konkretes, als Fülle
  von Inhalt, als Idealität, in welcher die Bestimmtheit, das Endliche als Moment
  enthalten ist.“
- In der Religionsphilosophie als denkende Vernunft wird Gott als Geist aufgefasst
  und damit wesentlich als der Dreieinige, d.h. als die Einheit von drei Momenten,
  wobei das letzte Moment die ersten beiden in sich aufgehoben enthält: „So wird
  Gott gefasst, wie er sich zum Gegenstande seiner selbst macht und dann der
  Gegenstand in dieser Unterscheidung seiner mit Gott identisch bleibt, Gott sich
  darin selbst liebt.“ Gott ist nur Geist in seiner Dreieinigkeit, ansonst ist er leer.
- Das Wesen oder der Begriff des Geistes ist somit in der Lehre der Religion
  enthalten, so dass beide sich nicht entgegenstehen.
- Die Religionsphilosophie steht mit dem räsonnierenden Verstand und seinen fixen
  Voraussetzungen von endlichen Kategorien nicht auf gemeinsamem Boden, da
  diese vom Verstand nicht einer Kritik unterzogen werden. Kritik aber ist nicht einfach
  Auslösung der endlichen Kategorien, sondern ihre Aufhebung in angemesseneren
  Kategorien, d.h. sie führt „sein Reflektieren auf den Grund zurück, d.h. zum Affirmativen,
  worin es zugrunde geht, und komm(t) doch zu einem Inhalte, zu einer Erkenntnis der
  Natur Gottes, nachdem aller Inhalt bereits aufgehoben zu sein schien“.
- Die Vernunfttheologie oder Verstandesmetaphysik ihrerseits bestreitet die Legitimität
  der Religionsphilosophie als vernünftige Betrachtung der Religion, da sie „bei ihren
  eigenen regellosen, willkürlichen Reflexionen, welche die Philosophie nicht gelten
  lässt“ stehen bleibt und damit die Möglichkeit des Erkennens der Natur Gottes leugnet.
  Für sie ist Philosophie etwas Gespensterhaftes.
- Die Religionsphilosophie steht somit der Lehre der Kirche, der positiven Religion, viel
  näher als die Verstandesmetaphysik, weil sie ihren geistigen Inhalt bewahrt. Denn es
  gibt nicht zweierlei Vernunft und zweierlei Geist, nicht einen göttlichen und einen
  menschlichen Geist. Die menschliche Vernunft als Bewusstsein des Wesens des Geistes
  „ist Vernunft überhaupt, das Göttliche im Menschen“. Die Religion und ihre Gestaltungen
  können daher nicht ausserhalb dieser Vernunft liegen, und die im Denken vollbrachte
  Ausbildung der Vernunft in der Philosophie und Religionsphilosophie können „nicht von
  seinem Werk [des Geistes], das er in der Religion hervorgebracht hat, schlechthin 
  verschieden sein“.
- Um nicht in jenen fruchtlosen Gegensatz von Denken und Sein der Verstandesmetaphysik
  zu fallen, muss „der Mensch im vernünftigen Denken die Sache selbst in sich walten lassen,
  auf seine Partikularität Verzicht leiste(n), sich als allgemeines Bewusstsein verhalt(en)“, sich
  als geistiger Maulwurf erweisen.
- Die Kirche und Theologie können diesen Sukkurs der Philosophie, der Vernunft verschmähen,
  jedoch selber nicht den Zweispalt zwischen reflektierender Erkenntnis und Glauben aufheben.
  Der Wunsch oder die Notwendigkeit einer solchen Aufhebung und Versöhnung fordert das
  Recht der philosophischen Einsicht und Erkenntnis.
- Die heutigen Zeitprinzipien des religiösen und philosophischen Bewusstseins stehen der
  Religionsphilosophie feindlich gegenüber. Es sind der Standpunkt der Verstandesmetaphysik,
  der den Zwiespalt hervorgebracht hat und belässt sowie der daraus hervorgegangene Standpunkt
  des Gefühls, das sich in die Innerlichkeit zurückgezogen hat, „aber mit jener Metaphysik in dem
  Resultat übereinstimmt, dass jede Bestimmung dem ewigen Inhalt – denn er ist ja nur ein
  Abstraktum – unangemessen sei“.
- Jedoch sind diese beiden scheinbar gegnerischen Standpunkte in der Philosophie als solcher und
  in der Religionsphilosophie im besondern aufgehoben, so dass sie an sich schon das Prinzip und
  den Standpunkt der philosophischen Erkenntnis besitzen. Sie sind deshalb „das geschichtliche
  Element, aus welchem heraus das vollendete philosophische Denken sich gestaltet hat“ und
  deshalb diese Standpunkte selber als Momente enthält und ihrem unfruchtbaren Gegensatz entzieht.
  Auf diese Weise kann das philosophische Denken das Absolute denken, ohne in neue einseitige
  Abstraktionen zu fallen. Fortsetzung