Die Sittlichkeit § 142 - 360
 
Einleitung § 142 (141) - 157
 
§ 142 Die Sittlichkeit als Idee der Freiheit
- Die Sittlichkeit ist das lebendige Gute, das im Selbstbewusstsein sein Wissen,
  Wollen und Wirklichkeit im Handeln hat.
- Umgekehrt hat das Selbstbewusstsein seinen bewegenden Zweck im sittlichen
  Dasein, das sittliches Werden und Leben ist.
- In der Sittlichkeit ist die Subjektivität zum Moment des Begriffs der Freiheit
  und damit real geworden. Jedes Moment der Freiheit ist nun sowohl vermittelt als
  auch vermittelnd: Die an sich freie Person in ihrer Besonderheit ist durch das für
  sich freie Subjekt (als Einzelnes und Moralisches) in das Allgemeine des sittlichen
  Lebens vermittelt (Vermittlung der Notwendigkeit des Allgemeinen oder der
  Substanz); das für sich freie Subjekt ist durch das Allgemeine des sittlichen Lebens
  in die an sich freie Person vermittelt (Vermittlung der Bestimmtheit oder
  Besonderung); die an sich freie Person in ihrer Besonderheit vermittelt das
  Allgemeine des sittlichen Lebens und das für sich freie Subjekt (Vermittlung der
  daseienden Freiheit). Jedes Moment ist das Ganze, aber ihre Abstraktheit und
  Unfreiheit als isoliertes Ganzes wird erst in der gegenseitigen Vermittlung
  aufgehoben.
 
§ 143 Die Einheit des Begriffs des Willens und des besonderen Willens
- Im Selbstbewusstsein als Gewissheit und Wissen seiner selbst ist die Einheit des
  Begriffs des Willens an sich und des besonderen Willens nicht mehr eine
  unmittelbare, sondern das Bewusstsein des Unterschieds der beiden Momente der
  Idee der Freiheit ist vorhanden, und zwar so, dass jedes Moment für sich selbst
  die Totalität der Idee ist und sie zur Grundlage und Inhalt hat.
- In der Sittlichkeit sind die Idee des Guten und die Idee des Wahren (Wissens)
  nicht einfach eins geworden, sondern befinden sich in einem Prozess der
  gegenseitigen Realisierung.
 
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§ 148 / 149 Die Bestimmungen des Sittlichen in Beziehung zum Einzelnen als
                 Subjektives
- Die substantiellen Bestimmungen der Sittlichkeit sind einerseits dem Subjektiven
  nicht ein Fremdes sondern Zeugnis seines eigenen Wesens. Andererseits sind sie
  als Objektives vom Subjektiven als das in sich Unbestimmte oder besonders
  Bestimmte getrennt. Diese Trennung zwischen dem Substanziellen und dem
  unbestimmt Subjektiven  ist wichtig, will man dem Subjektiven seine Freiheit in der
  Unbestimmtheit belassen.
- Aus diesem Verhältnis entstehen Pflichten gegenüber dem Substantiellen, die für
  den Willen des Einzelnen bindend sind.
- Beschränkungen bringen diese Pflichten nur gegen die unbestimmte Subjektivität
  bzw. deren abstrakte Freiheit. In der Pflicht befreit das Individuum sich zu
  substantiellen Freiheit und erlangt damit die affirmative Freiheit gegen die Unfreiheit
  der Abstraktion von Freiheit
- Die ethische oder sittliche Pflichtenlehre entspricht der Entwicklung des Kreises der
  sittlichen Notwendigkeit und ist nicht eine isolierte Pflichtenlehre für das in sich
  unbestimmte Subjektive, das erst als solches in sein Recht gesetzt die Entwicklung
  der sittlichen Notwendigkeit hervorbringt und in ihr seine Pflichten als Freies erfüllen
  kann.
 
§ 150 Die Tugend und Rechtschaffenheit
- Die Tugend ist die Reflexion des Sittlichen im individuellen durch die Natur
  bestimmten Charakter, dem Subjektiven. Tugend ist somit die Angemessenheit des
  Individuums an die Pflichten der Verhältnisse, d.h. Rechtschaffenheit.
- Im ausgebildeten sittlichen Zustand ist die Tugend von untergeordneter Bedeutung
  und nur bei Kollisionen wichtig.
 
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§ 155 Pflicht und Recht in der Sittlichkeit
- Pflicht ist das Recht des Substantiellen der Sittlichkeit
- Durch das Sittliche hat der Mensch insofern Rechte, als er Pflichten hat, und
  Pflichten, insofern er Rechte hat. Im abstrakten Recht der Person hat einer das
  Recht und der andere die Pflicht dieses zu erfüllen, im Moralischen soll nur das
  Recht meines eigenen Wissens und Wollens sowie meines Wohls mit den Pflichten
  geeint und objektiv sein.
- Das Recht des Substantiellen als Pflicht ist vermittelt durch mein Dasein, d.h. mein
  Recht und umgekehrt. Die Pflicht soll für etwas sein, worin der Mensch seine Würde
  und Freiheit hat und das daher sein Dasein, sein Recht ist.
- Recht und Pflicht ergeben sich durch die Interaktion der Menschen im sittlichen
  Leben.
 
 
Zusammenfassung der Bewegung des Begriffs von der Person in die Sittlichkeit
 
- Die Person als Einheit des allgemeinen und besondern Willens hat ihre Freiheit im
  unmittelbaren Sein --> Recht der Person. Der Begriff ist nur Begriff an sich. Das
  Verbrechen bringt die Wende zum Fürsichsein, da es die Unmittelbarkeit des nur an
  sich seienden Begriffs aufbricht und seine Widersprüchlichkeit und Einseitigkeit
  blossstellt. Der Begriff ist für sich geworden.
- Das Fürsichsein will sich nicht mehr nach dem äusseren Sein richten, sondern das
  Sein soll sich nach seinen Grundsätzen richten (Kantsche Wende) --> Recht der
  Moralität. Das in sich gegangene Sein muss deshalb selber seine Objektivität, sein
  äusseres Sein schaffen, in der es sich erkennen, bei sich bleiben, frei sein kann. Im
  Gewissen stellt sich dann heraus, dass das Fürsichsein als solches dies nicht
  leisten kann, da sich unüberwindliche Widersprüche auftun, denn, „ .... seine
  Berufung nur auf sein Selbst ist unmittelbar dem entgegen, was es sein will, die
  Regel einer vernünftigen, an und für sich gültigen allgemeinen Handlungsweise.“
  (TWA 7, § 137, S. 255).
- Da sowohl die an sich seiende Person in ihrem unmittelbaren äusserlichen Dasein
  als auch das Subjekt in seinem reinen Fürsichsein ihr jeweilig anderes ausserhalb
  und im Widerspruch zu ihrem eigenen Begriff haben, müssen beide in einem dritten
  Begriff vereinigt und aufgehoben werden. Aus dieser Einheit - die Substanz, die
  gleichzeitig Subjekt ist - entwickelt sich die Vermittlung der beiden --> Recht der
  Sittlichkeit. Am Anfang der Vermittlung ist dieser nun an und für sich gewordene
  Begriff wieder ganz unmittelbar oder nur an sich oder implizit. Erst in der
  Entwicklung setzt er seine Momente als Selbständige und Vermittelte. Die nur
  ideelle Freiheit der an sich seienden Person und des reinen Fürsichseins ist als
  wirkliche oder wirkende gesetzt.
 
 
Die Familie § 158 (156, 157) - 181
 
§ 156-157 Die Entwicklung des Begriffs in der Sittlichkeit
- Der Begriff ist in die Einheit seiner Momente, von Einzelnem und Allgemeinen, von
  Subjektivität und Objektivität, von Subjekt und Substanz, von Bewusstsein und
  Substantiellem zurückgegangen. Aus dieser Einheit setzt er seine Momente, d.h. er
  objektiviert sich in der Bewegung durch die Form seiner auseinander gehenden
  Momente.
- Diese Bewegung führt von der unmittelbaren Einheit der Momente – die Familie - in
  den Verlust dieser Einheit, d.h. in die Entzweiung der Moment und das Scheinen
  des (formellen) Allgemeinen im Relativen der Verhältnisse der freien und
  selbständigen Personen untereinander, - die bürgerliche Gesellschaft oder der
  äusserliche Staat - und dann in das substantielle Allgemeine, in welchem die
  andern beiden Stufen der Vermittlung von Einzelnem und Allgemeinem aufgehoben
  sind und ihr wirkliches Recht in den Gesetzen und Einrichtungen des Staates
  bekommen.
 
§ 158 Die Familie
- Die unmittelbare Substantialität der Familie ist bestimmt durch die empfindende
  Einheit, die Liebe. Die Person ist in dieser Einheit nicht für sich, sondern als
  Mitglied einer höheren sittlichen Einheit. Sie gibt sich als isoliert Einzelnes, als
  selbständige Person für sich auf und hat ihre Befriedigung und ihren Zweck im
  Gemeinsamen.
- Da die Einheit der Personen eine empfindende ist, ist die Sittlichkeit in Form des
  Natürlichen und der Inhalt ist nicht das an und für sich vernünftige und dem
  Zufälligen ausgesetzt.
- Es ist ein Widerspruch zwischen der Selbständigkeit der Person und
  ihrer Unterordnung in einer höheren sittlichen Einheit. Die Hervorbringung dieses
  Widerspruchs ist die Liebe, die diesen in der sittlichen Einigkeit der Familie wieder
  aufzulösen sucht. Dass diese Einigkeit nicht gegen die subjektive Liebe als
  Empfindung geltend gemacht werden kann (Zusatz, § 159, S. 309), unterstreicht
  das labile Verhältnis der unmittelbaren natürlichen Vermittlung.
- Die Liebe ist somit der Kitt in der unmittelbaren oder natürlichen Vermittlung von
  Einzelnem und Allgemeinem in der Familie. Sie verliert ihre Bedeutung auf den
  beiden andern Stufen der Vermittlung. Da sie einerseits der Schwankung und
  Zufälligkeit unterliegt, zum andern ihre sittliche Realisierung in der Familie (es
  handelt sich hier um die moderne Kleinfamilie) wirtschaftliche und rechtliche
  Voraussetzungen verlangt, kann die Familie erst nach Realisierung der andern
  beiden Stufen der Vermittlung lebendige Wirklichkeit und Stabilität erlangen.
 
§ 161 Die Ehe
- Die Ehe als unmittelbares sittliches Verhältnis hat das Moment der natürlichen
  Lebendigkeit als Wirklichkeit der Gattung und deren Prozess.
- Dieses nur an sich oder innerliche und damit nur äusserliche Moment des
  allgemeinen natürlichen Gesetzes wird im Selbstbewusstsein in eine
  selbstbewusste Liebe, die Ehe, umgewandelt, das Moment der geistigen
  Lebendigkeit in der Ehe.
- Die Ehe, negativ bestimmt, ist weder nur ein Geschlechtsverhältnis, noch beruht sie
  nur auf einem bürgerlichen Kontrakt, in dem sie zu einem gegenseitigen
  vertragsmässigen Gebrauch verkommt, noch ist sie nur in der Liebe gesetzt, die als
  Empfindung der Zufälligkeit und damit der Unsittlichkeit ausgesetzt ist.
- Die Ehe, positiv bestimmt, ist die rechtlich sittliche Liebe. Daraus ausgeschlossen
  ist das bloss Subjektive.
 
Übergang in die Bürgerliche Gesellschaft
 
- In der Ehe und Familie ist der Begriff in der Einheit seiner Momente, des einzelnen
  und des allgemeinen Willens, realisiert (bestimmt und besondert). Diese Einheit ist
  durch die sittliche Liebe als das die beiden Momente Vermittelnde gesetzt. Es ist
  dies die sittliche Idee in ihrer Unmittelbarkeit.
- In der bürgerlichen Gesellschaft werden die beiden Momente in ihre Selbständigkeit
  entlassen, so dass die Beziehung zwischen ihnen zu einem Reflexionsverhältnis
  (verstandesmässiges Urteil, Schluss) zwischen Einzelnem und Allgemeinem wird.
  Dieses Auseinandergehen in ihre Extreme ist notwendig für die Freiheit und
  Selbständigkeit des besondern Willens.
- Die Zwecke des besonderen Willens und der Zweck der Allgemeinheit treten
  auseinander und es besteht nur noch eine formelle und ‚unsichtbare’ Beziehung
  zwischen den beiden: Das Allgemeine (Wesen) scheint in das Besondere und ist
  deswegen nur noch seine formelle Grundlage, kein unmittelbarer Zweck mehr.
- Dadurch ergibt sich ein Verlust der Sittlichkeit, da die Vermittlung der beiden
  Momente im Regress ins Unendliche stecken bleibt und damit keine
  eigenständige (kreisförmige) Rückkehr ins Sittliche und Vernünftige offen steht.
- Da jetzt das Allgemeine seinen Ausgangspunkt im besonderen Willen hat, muss
  dieser versuchen, das wahre Allgemeine aus sich heraus zu setzen, was ihm in der
  bürgerlichen Gesellschaft nur unvollständig gelingen kann (Polizei, Kooperation).
  Sie geht deshalb in den Staat über und bekommt dort als Moment der Freiheit ihr
  Recht. Fortsetzung