Die Moralität § 104 - 141
 
Der Übergang vom Unrecht in die Moralität
 
§ 104
- Der formelle und unendliche freie Wille hat sich in der einzelnen Sache im äusseren realisiert
  und damit als Person abstraktes Recht gesetzt. Damit ist die an sich freie Person auch für
  sich frei geworden, wobei diese Freiheit eine unmittelbare und äussere ist, da der allgemeine
  an sich seiende Wille im Gegensatz zum einzelnen für sich seienden Wille steht und damit
  der äusseren Zufälligkeit ausgesetzt ist. Noch ist keine innere Vermittlung zwischen dem
  Ansichsein und Fürsichsein realisiert worden.
- Im Verbrechen und seiner Bestrafung kehrt der an sich seiende Wille durch Aufhebung dieses
  Gegensatzes in sich zurück und wird damit selbst für sich wirklich. Das Recht gilt gegen den
  bloss für sich seienden einzelnen Willen und ist durch sein Notwendigkeit wirklich und für sich
  seiend geworden.
- Im abstrakten Recht ist der Wille nur als Persönlichkeit, die nun zu seinem Gegenstand wird.
  Die nur unmittelbare äussere Reflexion wird zur inneren Reflexion, die Freiheit wird subjektiv.
  Damit ist das Prinzip oder Absolute des moralischen Standpunkts gesetzt und die Zufälligkeit
  des Willens ist aus der Äusserlichkeit zurückgekehrt und unendlich in sich seiend geworden.
  Das Recht ist  in das Innere des Willens gekommen und er ist für sich selbst Subjektivität
  geworden: Das Recht des subjektiven Willens hat Existenz bekommen.
 
§ 105
- Die Person als Subjekt stellt sich in seiner Reflexion gegen die Unmittelbarkeit und das
  Ansichsein des Willens.
- Damit ist der subjektive Wille verschieden vom objektiven, an sich seienden Begriff. Die
  normative Kraft ist ins Innere gegangen. Die Subjektivität macht die Bestimmtheit des Begriffs
  aus (Kant).
- Freiheit ist nicht mehr nur als freie Person (z.B. Republikanismus), sondern als freie Innerlichkeit,
  als Realisierung der eigenen Absicht und Zustimmung gegen das objektiv Gegebene, das nur
  noch als Schein Gültigkeit hat.
 
§ 106
- Mit der Subjektivität des Willens ist die Freiheit wirklich geworden. Die Idee der
  Freiheit hat ihre Existenz erlangt. In der Person und seinem strengen Recht war sie
  nur an sich vorhanden als Voraussetzung der subjektiven Freiheit.
- Der für sich seiend gewordene Wille – die Subjektivität – ist unmittelbar und nur an
  sich identisch mit dem an sich seienden oder allgemeinen Willen.
- Der Prozess des moralischen Willens auf dem Boden der Freiheit, der Subjektivität
  ist die Aufhebung der Subjektivität im allgemeinen Willen, so dass der moralische
  Wille nicht mehr nur an sich, sondern für sich identisch ist mit dem allgemeinen
  Willen.
 
§ 107
- Der moralische Standpunkt ist das Recht des subjektiven Willens. Die Subjektivität
  wird damit zur eigenen Bestimmung des Willens und ein Moment des Begriffs der
  Freiheit als Sollen.
- Der moralische Wille muss Realität erhalten, d.h. seine Subjektivität in Objektivität
  umsetzen. Da das Dasein für ihn am Anfang nur Schein ist, setzt er in diesem
  Prozess seine eigene Objektivität, die als allgemeiner Wille Realität bekommen soll.
 
§ 108
- Der Standpunkt des moralischen Willens ist der Standpunkt der Differenz,
  Endlichkeit und Erscheinung des Willens gegen das nur Objektive und Ansichsein,
  das zum Schein herabgesetzt wird.
- Das Selbstbestimmen des Willens auf dem Standpunkt der Moralität ist somit
  Unruhe und Tätigkeit, die erst in der Sittlichkeit identisch ist mit dem Begriff des
  Willens, d.h. dem an und für sich seienden Willen.
- Das Moralische und Unmoralische sind nicht einfach einander Entgegengesetzte,
  sondern das Moralische umfasst den Standpunkt des Moralischen und Unmoralische.
  Erst im Prozess der Subjektivität kann eine Entgegensetzung eintreten, d.h. weder
  früher das abstrakte Recht noch jetzt die Moral sind gesetzte Wegweiser, sondern
  ergeben sich erst in ihrem möglichen Gegenteil.
 
§ 109
- Der subjektive oder moralische Wille ist zu Beginn nur formell, d.h. er enthält die
  Entgegensetzung der Subjektivität und Objektivität. Daraus ergibt sich seine
  Tätigkeit, seinem Begriff gemäss sein Dasein zu bestimmen, d.h. den Inhalt, den
  der subjektive Wille sich gibt, in ein unmittelbares Dasein zu übersetzen.
- Der Wille bleibt in der Entgegensetzung identisch mit sich und setzt seinen Inhalt
  als Zweck und wesentlich, gleichgültig gegen jenen Unterschied der Form
- Die Bestimmung des Willens als unmittelbares Dasein ist Handlung, die lediglich
  formelle Objektivität als Äusserlichkeit überhaupt bekommt.
 
§ 110
- Der Inhalt des subjektiven Willens soll auch in seiner formalen Objektivität meine
  Subjektivität immerfort enthalten.
- Die Tat soll nur gelten, insofern sie innerlich von mir bestimmt, mein Vorsatz, meine
  Absicht war.
- Die formelle Objektivität als Handlung des subjektiven Willens enthält nicht mehr als
  was im subjektiven Willen als das Seinige anerkannt wird.
- Der subjektive Wille will sich in seiner Äusserung, d.h. formellen Objektivität in der
  Äusserlichkeit, selbst wieder erkennen. Seine Subjektivität soll unmittelbar
  seine Objektivität bestimmen.
 
§ 111
- Da der sich nur unmittelbar bestimmende und ins Dasein übersetzende Wille nur
  formelle Objektivität schafft, ist die Übereinstimmung mit der Objektivität als
  Allgemeinheit und Wahrheit nur eine Forderung.
- Es liegt zwar in der Bestimmung des subjektiven Willens, dass er identisch wird mit
  dem objektiven Willen als allgemeiner. Die Übereinstimmung ist jedoch dem Zufall
  überlassen und die formelle Objektivität kann dem an und für sich seienden
  Begriff des Willens (der allgemein geltenden Objektivität) auch nicht angemessen
  sein.
 
 § 112
- Im Zuge der Objektivierung des subjektiven Willens wird die Subjektivität in ihrer
  Unmittelbarkeit aufgehoben und mit sich identische äusserliche Subjektivität in
  einer positiven Beziehung auf den Willen anderer.
- Beim abstrakten oder formellen Recht war nur eine negative Beziehung auf den
  Willen anderer. Auf dem Standpunkt der Moralität wird diese Beziehung positiv und
  ein gestaltbares Sein für Anderes. Es entsteht das Geistige, das ‚wir’, das auch das
  Wohl anderer mit einschliesst, auch wenn dieses dem Zufall der Äusserung der
  Subjektivität überlassen bleibt.
 
§ 113
- Erst die Äusserung des subjektiven oder moralischen Willens ist Handlung.
- Die Handlung enthält 3 Beziehungen:
  . vom subjektiven Willen in ihrem äusseren Dasein gewusst, d.h. in
    Übereinstimmung mit seinem Vorsatz als abstraktes Prädikat des Seinigen und
    seiner Schuld an der Veränderung des Daseins,
  . die Forderung des Begriffs der Identität des für sich seienden subjektiven und an
    und für sich seienden Willens. Begriff und subjektiver Wille als Sollen stehen
    einander gegenüber und die Unmittelbarkeit des Begriffs der Freiheit im Dasein als
    nur negative des formellen Rechts ist damit aufgehoben.
  . positiv auf den Willen anderer gerichtet und damit allgemeinen Willen schaffend.
- Erst in der Handlung des moralischen Willens ist der Begriff der Freiheit als
  Recht der Innerlichkeit real geworden und nicht mehr nur unmittelbar oder
  formell oder negativ als Rechtsperson und ihrer Entäusserung in die Sache.
 
§ 114
- In der Handlung sind drei Seiten zu unterscheiden:
  . das abstrakte oder formelle Recht der Handlung, dass sie Vorsatz des subjektiven
    Willens sei und unmittelbares Dasein bekomme, nicht nur Innerlichkeit bleibe,
  . das Besondere der Handlung als ihr innerer Inhalt, allgemeiner Wert oder Absicht
    des subjektiven Willens einerseits, und ihr Inhalt als besonderer Zweck und
    Interesse im partikulären subjektiven    Dasein, das Wohl, andererseits,
  . der Inhalt als Inneres zugleich in seine objektive Allgemeinheit erhoben – das Gute
    oder absoluter Zweck des Willens.
- In der Sphäre der inneren Reflexion des subjektiven Willens ist das Gute als
  absoluter Zweck und objektive Allgemeinheit mit dem unmittelbaren Gegensatz der
  subjektiven Allgemeinheit des Bösen und Gewissens behaftet. Der Begriff der
  Freiheit ist noch nicht als Vermittlung der objektiven und subjektiven Allgemeinheit
  in der Sittlichkeit gesetzt, sondern zeigt sich im Gegensatz von Innerlichkeit und
  Äusserlichkeit, von Form und Inhalt, von Subjektivität und Objektivität.
- Die sich zeigenden Widersprüche dieser Entgegensetzung ist der Prozess des
  moralischen Standpunktes als Absoluter in den sittlichen Standpunkt, in welchem
  der moralische Wille als Moment aufgehoben ist und die Widersprüche vermittelt
  (nicht negiert) sind.
 
 
Das Gute und das Gewissen
 
§ 129 Das Gute und seine Momente
- Die Idee des Guten enthält in sich aufgehoben die bisherigen Momente
  des abstrakten Rechts oder des an sich freien Willens, des subjektiven Wohls und
  Zwecksetzung, der Subjektivität des Wissen und der Zufälligkeit des äusserlichen
  Daseins.
- Die Idee des Guten ist somit die abstrakte Einheit des Begriffs des Willens, seiner
  Allgemeinheit und Freiheit, und des besondern Wollens, das diese Allgemeinheit
  realisieren will.
- Im an sich freien Willen in der Sphäre des abstrakten Rechts (Begriff des Willens)
  ist der Wille so genommen, wie er unmittelbar besonderer Wille ist.
- Die Einheit des Begriffs des Willens und des besondern Willens ist eine
  vermittelnde als Reflexion des Subjekts auf sein Wohl und die allgemeine
  Glückseligkeit. Damit verliert der Wille seine unmittelbare Besonderheit.
- Das Gute ist nicht ein abstrakt Rechtliches. Sein Gehalt enthält sowohl das Recht
  der an sich freien Person als auch ihr subjektives Wohl.
 
§ 130 Recht und Wohl als Momente des Guten
- Im Guten wird das Wohl des besondern Willens zum allgemeinen Wohl. Das
  abstrakte Recht – die abstrakte Freiheit der Person - und der unmittelbare
  besondere Wille verlieren ihren Absolutheitsanspruch, sind nur noch Momente der
  Idee des Guten.
- Das Gute als Wirkliches und Substanz des besondern Willens hat nun das absolute
  Recht vor dem abstrakten Recht der Person in ihrer Äusserlichkeit und
  vor den besonderen Zwecken des Wohls.
 
§ 131 Die Idee des Guten als Abstrakte
- Das Gute ist die Wahrheit und die Arbeit des besonderen Willens. Ohne den
  besondern Willen kann das Gute nicht realisiert werden und bleibt eine Abstraktion.
- Die Idee des Guten als Einheit des Begriffs des Willens und des besondern Willens
  ist vorerst nur eine abstrakte Idee. Das Gute steht in einer äusseren reflexiven
  Sollens-Beziehung zum subjektiven Willen, der noch nicht dem Guten gemäss
  gesetzt ist, d.h. die Subjektivität selbst ist noch nicht Moment des Begriffs
  geworden (wir sind in der Wesenslogik, noch nicht in der Begriffslogik).
- Desgleichen hat das Gute seine Vermittlung erst im subjektiven Willen und
  seine Realisierung ist dem Zufall unterworfen. Es ist noch nicht der Begriff selber,
  der die Vermittlung übernimmt.
- Das Bestimmen des Guten ist somit der für sich seienden Subjektivität in ihrem
  Verhältnis zur Objektivität überlassen, die sie dem Guten entsprechend zu
  gestalten sucht. Dieses innerliche Bestimmen oder Übergehen des Innern in das
  Äussere der Bestimmtheit ist das Gewissen.
 
.........
 
§ 137 Das formelle und das wahrhafte Gewissen
- Das wahrhafte Gewissen will das, was an und für sich gut ist – das Gute. Dieses
  Wollen äussert sich in festen Grundsätzen, die dem Gewissen für sich objektive
  Bestimmungen und Pflichten sind.
- Von dem Inhalt des Gewissens muss die formelle Tätigkeit des Willens, der als
  dieser keinen eigentümlichen Inhalt hat, unterschieden werden – das formelle
  Gewissen.
- Das objektive System dieser auf dem Standpunkt der formellen Moralität nur für
  dieses Subjekt objektiven Bestimmungen kann erst auf dem Standpunkt der
  Sittlichkeit mit der formellen unendlichen Gewissheit seiner selbst vereinigt und
  vermittelt werden. Erst dann bekommt die Gewissheit des Fürsichseins ihre
  Erfüllung im Ansichsein, ihr Sein.
- Innerhalb des Subjekts selber bleibt diese Vermittlung in einem ständigen
  Widerspruch behaftet, dahingehend, dass die Berufung auf das Selbst unmittelbar
  der von ihm gewollten allgemeinen Objektivität der Grundsätze entgegensteht. 
- Es ist deshalb wichtig, das, was im wahrhaften Gewissen nicht unterschieden ist, zu
  unterscheiden, nämlich das formelle Gewissen von seinen Inhalten, will man anders
  die formelle Subjektivität nicht von Anfang an in einer ihr zufälligen oder fremden
  bestimmten Objektivität festhalten, die sich dann eben auch durch nicht wahrhafte
  Inhalte auszeichnen kann.
- Die Trennung vom wahrhaften Inhalt jeglicher Art ist das Setzen der formellen
  Freiheit der Subjektivität als absolute. Ihre Absolutheit ist erst aufgehoben (negiert
  und bewahrt) in der ihr gemässen Objektivität, der Sittlichkeit. Fortsetzung